Drei und eine Axt – Teil 10

Eine Axtgeschichte – Drei und eine Axt – Teil 10

Er schreckte plötzlich hoch, als seine Hunde anschlugen. ‚Halef, deine Hunde mögen mich einfach nicht.‘ hörte er Meister Kejnen sich von draußen lauthals beschweren. Halef pfiff nur leise und bettet die Kleine dabei wieder auf die Felle zurück und deckte sie sachte zu. Sie wollte im Schlaf seinen Arm kaum loslassen.

Kejnen stand bereits vor dem Zelt als Halef, seinen Klappenmantel überziehend, aus dem Zelt trat.

‚Verzeih die Verspätung, aber die Damen hier und Neuigkeiten haben mich aufgehalten.‘

Eine Schar älterer Damen strömten in gebückter Haltung in ihr Lager. Sie legten ihm viele Dinge vor die Füße und küssten seine Hände. Er hatte Einige davon gestern im Lager des Khan gesehen.

‚Sie wollten dir helfen und dir die Sachen bringen, aber deine Hunde haben sie nicht ins Lager gelassen. Und sie sind steif und fest der Meinung, dass du von den Göttern gesandt wurdest.‘

Halef blickte Meister Kejnen nur ungläubig an und schüttelte den Kopf.

‚Wie geht es dem Mädchen?‘ fragte er und blickte ihn dabei ernst an.

‚Ich habe sie gewaschen und ihre Wunden versorgt und die Damen sollten besser dafür beten, dass sie keinen Wundbrand bekommt… Am Liebsten würde ich morgen schon mir ihr aufbrechen und sie zu Tante Ziska bringen.‘

‚Ja, da hast du wohl recht…es wird das Beste sein.‘

‚Was für Neuigkeiten haben dich aufgehalten?‘

‚Überraschende! Ein alter Kriegskamerad will sich mit mir treffen. Deswegen muss ich gleich noch einmal los.‘

Während die Beiden sich unterhalten hatten, machten sich die Damen an der Kochstelle zu schaffen und setzten frisches Wasser auf. Sie fütterten die Hunde mit dem Kesselinhalt und machten ihnen neues Essen.

Kejnen durfte erst gehen, als er etwas gegessen hatte. Auch Halef flößten sie Tee ein und drückten ihm die verschiedensten Köstlichkeiten in die Hand. Er konnte sich ihrer erst erwehren, als das Mädchen im Zelt wieder zum Wimmern begann. Sich immer noch bedankend verschwand er rücklings im Zelt. Das Mädchen saß aufrecht und völlig verschreckt auf den Fellen und ihr liefen gerade wieder Tränen die Wangen herab, als er sich zu ihr umdrehte. Eine der Damen folgte ihm und brachte ein Tablett voll mit Essen und Tee herein und stellte es ab. Genauso lautlos wie sie ihm gefolgt war und verschwand sie auch wieder. Halef kniete sich zu dem Mädchen und nahm sie in den Arm.

‚Wir haben Besuch vieler netter alter Damen!‘ flüsterte er ihr ins Ohr, während sie sich weinend an ihn klammerte. ‚Sie haben uns zu Essen gebracht!‘ Er hangelte nach dem Tablett, schnappte sich eine der süßen Köstlichkeiten und bot es ihr an. Sie schüttelte nur den Kopf.

Genüsslich biss er selbst davon ab und man konnte es wirklich an seinem Gesicht ansehen, dass er nie etwas Köstlicheres zu sich genommen hatte. Ihm standen fast die Tränen in den Augen, als er ihr die andere Hälfte davon anbot. Sie öffnete ganz leicht den Mund und lies sich füttern. Der unglaubliche Geschmack explodierte schier in ihrem Mund und die Tränen, die nun aus ihren Augen schossen, mussten Freudentränen gewesen sein, weil sie ihn überglücklich dabei anlächelte. Bei diesem Lächeln ging ihm schier das Herz auf, er drückte sie noch fester an sich und küsste ihre Stirn.

Irgendwann schloss sie die Augen und sackte dann ganz langsam wieder in die Felle zurück. Er rückte die Felle zurecht, räumte das übrige Verbandszeug in Ziska’s Beutel zurück und legte ihn in Reichweite der Schlafstätte ab.

‚Man kann ja nie wissen!‘ flüsterte er. Er kramte eine weitere Decke hervor und setzte sich neben das Mädchen.

Die Dame von eben kam wieder ins Zelt, brachte einen Stapel mit Kleidung und legte ihn zu ihren Füßen ab. Oben auf dem Stapel lagen ein Paar gebundene Strümpfe. Er griff unter die Decke und fühlte nach ihren Füßen, die wie er vermutet hatte eiskalt waren. Die Decke beiseite schiebend zog er ihr die Strümpfe an, klappte das Letzte der Felle am Fußende über ihre Beine und deckte sie wieder sorgfältig zu. Er griff sich die zweite Decke und legte auch diese über das Mädchen. Dann ging er zum Zelteingang und streckte den Kopf hinaus, draußen waren noch immer einige Damen, die gleich aufgeregt zu ihm stürmten, um ihm wieder die Hände zu küssen. Sie drückten ihm noch eine Decke in die Hand und ein Öllicht. Er pfiff nach seinen Hunden und wies sie wortlos an, am Feuer Wache zu halten. Ebenso wortlos bedankte er sich bei den Damen und verschwand wieder im Zelt. Die Damen schlossen das Zelt hinter ihm. Er hängte das Öllicht an eine Kette, die von der Mittelstange herab hing, dann setzte er sich zu ihren Füßen und zog endlich seine Schuhe aus.

Währenddessen humpelte Meister Kejnen zum Treffpunkt, an dem er einen seiner alten Kriegskameraden Ainur treffen wollte, den er gleich zu Beginn ihrer Ankunft auf die Männer der drei Damen angesetzt hatte.

Sein Kamerad führte ihn gleich nach ihrem Zusammentreffen in eine Kaschemme. Am Tresen kauerte ein Mann, der ziemlich heruntergekommen und völlig betrunken war. Kejnen humpelte zu ihm hinüber.

‚Bist du Otar, Sohn des Alur?‘ fragte Kejnen ihm gerade auf den Kopf zu.

Der Mann schreckte hoch und starrte ihn fassungslos an.

‚Deine Frau Wena und deine Kinder vermissen dich!‘

Der Mann, der wohl tatsächlich Otar war, brach vor Kejnen auf die Knie und weinte.

‚Deine Schwägerinnen würde gerne wissen, wo ihre Männer sind, deine Brüder!‘

Otar klammerte sich an seinen Füßen fest und schrie: ‚Ich hab sie verloren!‘

‚Wie verloren?‘ rief Kejnen fassungslos.

Ainur stand nun hinter Otar und machte eine kreisende Handbewegung auf Stirnhöhe. ‚Ich sagte doch, er ist nicht nur ein Säufer, sondern auch ganz schön verrückt!‘

‚Das ist mir egal, wir nehmen ihn mit, wenn der Junge ihn erkennt, dann bringen wir ihn morgen heim, die Frauen werden ihn schon wieder hinkriegen.‘

‚Gut, dann lass uns verschwinden!‘ meinte Ainur.

Kejnen warf dem Wirt einen Goldklumpen hin und überließ es seinem Freund, den betrunkenen Otar hochzuziehen und mitzuschleifen.

Halef saß immer noch zu ihren Füßen zusammengesunken und hielt seinen Kopf. Seine Gedanken und Gefühle rauschten völlig wirr durch seinen Kopf. Sie erwachte wieder, öffnete langsam ihre Augen und sah ihn im schummrigen Licht zu ihren Fußen sitzen. Sie versuchte etwas zu flüstern. ‚Ha…h…!‘

Er schreckte hoch und wand sich um. Sie versuchte es nochmal. ‚Halef?‘ Schon war er an ihrer Seite und griff nach ihrer Hand. Sie blickte zu ihrem Becher, der unweit des Tablett stand. Halef goss ihr Tee ein und reichte ihr den Becher. ‚Danke!‘ sagte sie leise. Ihre Stimme war heiser und unsicher, ihm aber machte es so glücklich, dass sie sprach. Er hatte schon die Befürchtung gehabt, sie könnte stumm sein. ‚Ist doch selbstverständlich, kann ich dir noch etwas Gutes tun?‘

Sie zuckte nur mit den Schultern, verzog dann schmerzverzerrt das Gesicht und lies beinahe den Becher fallen. Gelassen griff er nach ihrem Becher und fragte: ‚Soll ich dir was gegen die Schmerzen geben?‘ Sie nickte nur. Er wühlte in dem Beutel nach Ziska’s schönen Träumen und goss ihr einen Schluck davon in den Becher. Sie trank ihn brav aus, während er ihren Kopf etwas hochhielt, damit sie besser trinken konnte. Nachdem sie den Becher wieder absetzte, beutelte es sie und sie kämpfte damit, nicht wieder alles von sich zu geben. Lächelnd lies er ihren Kopf langsam wieder sinken, nahm ihr den Becher ab und rückte mal wieder die Felle zurecht. Als er sich wieder abwenden wollte, hielt sie ihn an seiner Hand fest. Er griff aber nur nach der Decke, die ihm vorhin die Damen gegeben hatten. Schlagartig lies sie seine Hand wieder los und lies ihn sich die Decke über die Schultern werfen. Nach ihren Händen greifend, setzte er sich etwas näher zu ihr hin und blickte sie sanft an. Ihre Augen waren schon fast wieder geschlossen, als sie wieder zum Flüstern ansetzte. ‚La…mi…na…‘

Er lächelte ihr entgegen und sprach ihr nach: ‚Lamina.‘ Auf seine eigene Art hatte er ihren Namen so betont, so dass sie auch lächeln musste. Mit diesem Lächeln auf den Lippen schlief sie wieder ein.

Die Hunde schlugen wieder an, er schnellte hoch und lies ihre Hände los, um im nächsten Moment behände, unter der Zeltplane hindurch, nach draußen zu schlüpfen.

Ihm stockte der Atem, als er drei Gestalten vor dem Zelt erblickte. Eine Gestalt löste sich und trat näher, es war unverkennbar Meister Kejnen.

‚Junge, komm näher und leg ein paar Scheite nach!‘ meinte Kejnen in seinem ihm üblichen Befehlston. Er folgte und bückte sich nach dem Holz und legte es auf die Glut.

‚Wie geht es dem Mädchen?‘

‚Gut, soweit! Wer sind die…!‘ meinte Halef, stockte aber, als einer der Männer, den Anderen losließ und dieser auf die Knie stürzte und ihn gleichzeitig völlig wahnsinnig anstarrte.

‚Halef, Junge. Du bist aber groß geworden!‘ lallte der Mann, der nun in Richtung seiner Füße kroch.

Halef stürzte zu ihm herab und packte ihn an seiner völlig verdreckten Tunika. ‚Du betrinkst dich, anstatt nach Hause zu kommen, Onkel!‘

‚Ich hab den Weg nicht gefunden! Den Weg nicht mehr gefunden‘ jammerte Otar und klammerte sich an Halef’s Bein fest.

‚Wo ist mein Vater?‘ schrie Halef ihn mit einem angewiderten Gesichtsausdruck an. ‚Verdammt, wo sind deine Brüder?‘

‚Ich hab sie verloren! Verloren! Den Weg nicht gefunden!‘ winselte Otar.

Kejnen hielt Halef an der Schulter fest und sprach ganz ruhig: ‚Die Leute erzählen sich, dass er in der letzten Schlacht einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte und seit dem hat er sie nicht mehr alle beieinander!‘

‚Ja, und! Er soll mir meine Frage beantworten! Das wird er ja wohl noch können!‘

Kejnen hatte Halef nie so wütend erlebt, deswegen zog er ihn von Otar fort, um ihm ins Gewissen zu reden: ‚Halef, die Leute erzählen sich auch, dass…!‘

Doch er wurde von Otar weinend unterbrochen. ‚Ich wollte ihre Körper heim bringen, aber ich habe sie verloren! Den Weg nicht gefunden!‘ Otar griff wieder nach seinen Füßen, doch der andere Mann hielt ihn zurück und sprach ganz ruhig: ‚Die Kameraden aus seiner Einheit erzählten mir, dass er seine Brüder retten wollte und dabei hat er einen Hieb auf den Kopf bekommen und…!‘

Halef riss sich aber schon von Meister Kejnen los und wand sich ab. Einen Moment später, war er im Zelt verschwunden. Meister Kejnen folgte ihm, so schnell es ihm möglich war.

‚Halef?‘ flüsterte er und griff ihn an der Schulter, als er sich im Zelt wieder aufrichtete. ‚Hast du noch von Ziska’s schöne Träume?‘ Er wand sich nur halb um und nickte dann.

‚Verstecke es so, dass er es nicht findet! Ich möchte morgen früh aufbrechen! Versuch etwas zu schlafen! Wir schlafen draußen.‘

Meister Kejnen packte sich sein Bündel Felle und humpelte wieder nach draußen.

‚Gib mir die Jurtenhaut raus, Junge!‘ meinte Meister Kejnen leise.

Halef tat was ihm befohlen und als er die Jurtenhaut unter seinem Sattel herauszog, blickte ihn Lamina fragend an. Sie sah, dass er Tränen in den Augen hatte, als er sich wieder abwandte. Draußen nahm Kejnen ihm die Jurtenhaut ab und setzte sie auf dem Boden ab.

‚Junge…!‘ sagte Kejnen und packte ihn dann, um ihn in eine Umarmung zu ziehen.

Halef lies es für einen Moment zu, wand sich dann aber aus der Umarmung und sagte kurz: ‚Ist schon gut, Meister Kejnen!‘

Seine Hunde lauschten auf und kamen auf ihn zu gelaufen. Sie hatten in seiner Stimme mehr gehört, als Kejnen verstand. Kejnen griff in seine Hose und drückte ihm die Beutel mit Gold in die Hand. ‚Man kann ja nie wissen!‘ Beide versuchten zu lächeln, es gelang ihnen aber nicht wirklich.

Halef ging zurück ins Zelt, seine Hunde krochen ihm hinterher. Mit einer beiläufigen Handbewegung wies er seinen Hunden den Platz vor seiner Schlafstätte zu, wo die Beiden sich sofort zusammenrollten.

Halef packte seine Schuhe, die immer noch vor seiner Schlafstätte standen, steckte die Beutel hinein und legte sie unter seinen Sattel. Dann griff er nach der Flasche, entkorkte sie, trank einen Schluck, und steckte sie verschlossen zu seinen Schuhen. Noch bevor der Trunk seine Kehle hinunter ran, setzte er sich zu seinem Sattel und legte den Kopf auf seine Knie. Schwer seufzend konnte er die Tränen nun nicht mehr aufhalten. Lamina griff nach seiner Hand und zog ihn zu sich auf die Felle. Er lies es kraftlos zu. Bevor es ihm gewahr wurde, befand er sich bereits mit dem Gesicht auf ihrer Decke. Sie nahm ihn liebevoll in den Arm und zog seinen Kopf auf ihre Brust. Sein ganzer Körper bebte vor Aufgewühltheit, so dass sie ihn kaum beruhigen konnte. Behutsam strich sie ihm durchs Haar und drückte ihn noch fester an sich. Als er sich nach einer Weile wieder halbwegs gefangen hatte, krächzte er: ‚Eigentlich müsste ich dich im Arm halten und dich trösten!‘ Es war ihm ein Wenig peinlich in ihren Armen zu liegen und so liebevoll von ihr umsorgt zu werden. Sie regte sich und flüsterte in sein Haar: ‚Ja, aber mir tut gerade nichts weh!‘ Er seufzte schwer und zog sich den Rotz in der Nase hoch. Sie musste schmunzeln und küsste dann sein Haar. Irgendwann lies sie ihn aber doch los und er drehte sich auf den Rücken. Mit einer Hand nach seiner Decke suchend, nahm er sie in den Arm und deckte sie beide mit der dritten Decke zu, so schliefen sie beide ein.

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