Eine Axtgeschichte – Drei und eine Axt – Teil 23
Halef schlief nach dem Essen auf dem Stuhl ein und die Anderen, sogar der Khan, arbeiteten an der Jurte. Bei der Gelegenheit machten sie gleich alles winterfest. Später kam Merle, die Frau von Elger und einige der Frauen des Khan, brachten einige Sachen und halfen dabei, die alte Jurtenhaut zu flicken. Als Halef wieder erwachte, dachte er, er würde träumen. Er war umringt von Jurten. Irgendwelche Leute trugen Dinge von der einen Jurte in die Andere. Es wurde ihm ein Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit vor die Nase gestellt. Als er nicht reagierte tippte ihn ein Mädchen an. Erst als sie zu ihm sprach, erkannte er Fina. ‚Mutter sagt, du sollst was trinken.‘ Dann kam ein weiteres Mädchen und brachte ihm einen Napf mit Suppe. ‚Und noch mehr essen!‘ Als die beiden Mädchen nebeneinander standen, verlor er die Besinnung.
Als er das nächste Mal wach wurde, war es bereits dunkel geworden. Lamina beugte sich über sein Gesicht und rückte die Felle zurecht. Er schloss die Augen wieder und schüttelte den Kopf. Er wollte sich vergewissern, dass er nicht träumte.
‚Du bist ja wach, wir haben uns schon Sorgen gemacht. Du hast die Kinder ziemlich erschreckt, als du versucht hast, dich in der Suppe zu ertränken.‘ flüsterte sie ihm zu und küsste seine Stirn.
‚Ich dachte, ich wäre an einem anderen Ort, als ich erwachte. Dann hab ich gedacht, ich würde doppelt sehen…!‘ meinte er und rieb sich den Kopf.
Sie griff nach einem Öllicht, dass hinter seinem Kopf anscheinend auf einer Kiste stand, und erhob sich, um ein paar Schritte von ihm weg zu gehen. ‚Darf ich dir deine neue, alte Jurte vorstellen, mein Sippenführer!‘ sprach sie feierlich und drehte sich um ihre eigene Achse.
Von weit entfernt konnte man jemanden laut brüllen hören. Halef war halb aus dem Bett gekrabbelt und blickte nach unten. Dort lagen Teppiche. Er griff nach unten und hob den Teppich hoch, der vor seinem Bett lag. Unter dem Teppich waren grobe Holzbohlen.
‚Wie…wie lange habe ich geschlafen?‘
Die Jurtentür ging auf und Ainur schob Vira durch die Tür. Dann kam Ziska und Kejnen durch die Tür gestolpert, jeder hatte irgendetwas in der Hand. Eine Flasche mit Wein, eine Schüssel mit Suppe, Brot und eine Kanne Tee.
‚Wie lange habe ich geschlafen?‘ fragte er nochmal und blickte alle ratlos an.
‚Wir trauern noch!‘ meinte Vira.
‚Und wir haben immer noch 5 Tage bis Vollmond!‘ meinte Kejnen. Wie auf Kommando ertönte wieder Geschrei.
‚Wena sagt, wir dürfen nicht feiern. Aber das Geschrei des verfluchten Kel werde ich mir die nächsten 5 Nächte nicht nüchtern anhören.‘ meinte Ziska und hob die Weinflasche.
‚Wo sind Otar und Wena?‘ fragte Halef.
‚Die sitzen mit Elger und Merle draußen und beruhigen die Kinder.‘ meinte Vira und setzte sich auf ein Fell, das vor der Feuerschale auf dem Boden lag.
‚Wo habt ihr die ganzen Sachen her?‘ fragte Halef wieder. Er sah so aus, als würde er jetzt endgültig den Verstand verlieren.
‚Alle haben zusammen gelegt und haben mich mit einer anständige Aussteuer ausgestattet!‘ meinte Lamina und setzte sich wieder aufs Bett. Ainur drückte ihm die Schüssel mit dem Essen in die Hand und setzte sich dann zu Vira. Kejnen brachte ihm das Brot und fragte: ‚Macht es dir was aus, wenn ich mich aufs Bett setzte, ich kann nicht am Boden sitzen!‘ Er wartete ein Nicken ab und setzte sich. Ziska zog sich ein Fell ans Bett und setzte sich zu Kejnens Füßen. Lamina stand nochmal auf, half Halef dabei sich etwas aufzurichten, damit er Essen konnte. Dann kroch sie hinter ihm aufs Bett und lehnte sich gegen das Scherengitter. Man konnte wieder Kel schreien hören.
‚Ainur, wann hast du das alles gebaut?‘
‚Bevor ich wusste, dass ich noch zwei Betten bauen muss.‘ rief er und lachte laut.
‚Wir waren ziemlich lange fort, als wir…!‘ meinte Ziska, bevor ihre Stimme brach und trank aus der Flasche, um sie dann Vira rüber zu reichen.
‚Also, Kejnen und ich haben uns vom Khan und von Otar und Wena ziemlich viel über Brauchtum und Sitte anhören müssen und Lamina brachte uns eben auf die Idee bezüglich der alten Jurtenhaut.‘ meinte Ainur und griff nach Viras Hand. ‚Und wir haben im Wald einige umgestürzte Bäume gefunden, die einfach zu Schade waren zum Verheizen. Und das Gute ist, ich hab im Wald noch ein paar Bäume, die ich noch nicht herschleppen konnte. Also kann ich noch drei Betten bauen, einen größeren Tisch, zehn Regale und einen Stuhl für unseren jungen Herren!‘
‚Für was brauchen wir ein drittes Bett?‘ fragte Halef neugierig.
‚Der junge Alur, wird immer älter und Wena will ihn nicht länger bei den Mädchen im Bett schlafen lassen.‘ meinte Vira.
‚Ich hab eine Bitte!‘ meinte Halef. ‚Würdest du mir beibringen wie das geht, mit dem Holz?‘
‚Glaubst du, ich baue das alles alleine?‘ meinte Ainur und griff sich die Flasche.
‚Ich würde im Frühjahr gerne eine Brücke bauen!‘ meinte Halef und blickte Ainur an. Ainur nickte nur und umklammerte die Flasche.
‚Ich hätte gerne einen Unterstand für die Tiere, die Viehjurte wird langsam zu klein.‘ meinte Vira.
‚Ich hätte gerne einen Webrahmen!‘ rief Lamina und alle blickten sie an. ‚Der Winter ist lang und wir haben so viel Wolle, da kann ich…!‘ Halef hatte die Schüssel weggestellt und zog Lamina in eine Umarmung, unterbrach sie damit und küsste sie. Dann flüsterte er ihr ins Gesicht: ‚Ich liebe dich!‘
‚Ich hätte gerne die Flasche Wein!‘ rief Ziska, klammerte sich an Kejnens gesundes Bein und lehnte sich nach vorne. Vira gab ihr die Flasche und meinte, zu Kejnen und Ainur gewandt: ‚Wenn Kel nicht an seinen Verletzungen stirbt und … oder wenn er bis zum Vollmond nicht völlig wahnsinnig geworden ist, müssen wir davon ausgehen, dass es irgendwann zu einem Zweikampf kommen wird. Also hätte ich gerne, dass ihr Beide meinem Sohn alles beibringt, was ihr ihm beibringen könnt, damit ich in nächster Zeit nicht noch mal auf diesen Berg zu den Ahnen gehen muss…!‘
Die Tür öffnete sich und Elger und Merle, gefolgt von Wena und Otar kamen herein.
‚Die Kinder schlafen endlich und draußen wird es ganz schön frisch.‘ meinte Wena.
Sie hatten auch wieder Essen und etwas zu trinken dabei.
‚Halef, wie geht es dir?‘ fragte Elger.
Halef nickte nur und Elger setzte sich. Merle tat es ihm gleich.
‚Wir haben eure Gespräche gestört? Ich hoffe wir fallen euch nicht zur Last!‘ meinte Elger ernst.
‚Nein, auf keinen Fall. Wir spielen gerade, Wünsche erfüllen!‘ meinte Halef und blickte seine Mutter an und nickte. Auch Ainur und Kejnen nickten.
‚Was spielt ihr?‘ fragte Wena.
‚Wünsche erfüllen. Alur bekommt ein neues Bett.‘ meinte Ziska und trank von dem Wein.
‚Und Halef würde im Frühjahr gerne eine Brücke bauen!‘ plapperte Ainur.
‚Und mein Weibchen hätte gerne einen Webrahmen.‘ grinste Halef und blickte sie liebevoll an.
‚Und Ainur hätte gerne genug Eisenerz zum Schmieden.‘ sagte Ainur und lachte herzlich.
‚Also das mit dem Eisenerz könnten wir hinkriegen!‘ meinte Vira.
‚Ja, genau. Das ist doch noch die rote Höhle, auf der anderen Seite des Berges…!‘ rief Ziska und gab die Weinflasche an Elger weiter. Ainur küsste Vira die Hände und weinte fast.
‚Dürfte ich auch einen Wusch äußern?‘ fragte Elger.
Halef nickte wieder.
‚Halef, ich bitte dich inständig darum, dass du meinen Bruder das nächste Mal umbringst, sonst mache ich es.‘ meinte Elger ruhig und trank von dem Wein.
‚Ja, da wären wir beim Wunsch von Vira, zuerst sollten wir ein Kampftraining mit Halef machen. Elger du bist natürlich herzlich eingeladen.‘ meinte Kejnen.
Wena griff sich die Flasche und sprach: ‚Mutter wird dich verstoßen, wenn du ihn umbringst, Elger! Und sie wird keinen Fuß mehr auf diese Seite des Flusses setzen, wenn Halef ihn umbringt. Da muss es doch eine andere Lösung geben.‘
‚Und Wena bekommt ein neues Regal, oder auch zwei!‘ meinte Ainur. Wena schlug ihm gespielt auf den Arm und bedankte sich dann bei Ainur.
‚Was ist denn überhaupt in ihn gefahren?‘ meinte Vira. ‚Er war ja schon immer ein bisschen Anders, aber so hab ich ihn noch nie erlebt.‘
‚Ähm, also. Ich wollte eigentlich erst mit Halef darüber reden, aber nachdem sich die Ereignisse heute geradezu überschlagen haben…‘ meinte Lamina, schluckte schwer und fuhr fort. ‚Ich.. ich war mir die ganze Zeit nicht ganz sicher, weil mir viele der Sippe des ehrenwerten Khan so bekannt vorkommen und ich nicht weiß woher ich sie kenne, aber… ich.. ich glaub Kel war bei dem Sklavenhändler…‘ Ihre Stimme brach wieder und sie blickte Halef mit Tränen in den Augen an. Ihre Hände zitterten. Er griff danach, während alle anderen Lamina fassungslos anblickten.
‚Als ich dich freigekauft habe, war er allerdings nicht da.‘ meinte Kejnen. ‚Glaub ich zumindest!‘
‚Vorhin als er mich schlagen wollte und der Hass aus ihm sprach…hab ich ihn erkannt.‘ stammelte Lamina.
‚Sag mir bitte nicht, dass er dich… weil sonst gehe ich gleich rüber und…‘ meinte Halef aufgebracht. Er wollte schon aufspringen, doch Lamina hielt ihn zurück und unterbrach ihn unwirsch. ‚Nein, er kam und wollte mich kaufen. Er hatte aber nicht genug Gold. Er wurde wütend und wurde rausgeschmissen. Er wollte wieder kommen mit mehr Gold. Dann war die Sache mit dem Bruder des Sklavenhändlers. Ich glaube, dass Kel nochmal da war, nachdem mich der Sklavenhändler so zugerichtet hatte, und er mich nicht mehr wollte, er stritt sich wieder mit dem Sklavenhändler und… den Rest kennt ihr ja.‘ Nach diesem Satz brach sie endgültig zusammen, Halef nahm sie in den Arm und versuchte sie zu beruhigen.
‚Er wollte dich nicht ernsthaft kaufen? Dann hätte mein Vater ihn eigenhändig umgebracht. Der Khan duldet keine Sklaverei.‘ rief Elger laut und wollte schon aufspringen.
‚Das würde zumindest erklären, warum er sich so verhält.‘ meinte Vira und blickte in die Runde.
‚Ich möchte nicht, dass der Khan etwas davon erfährt!‘ meinte Halef aufgebracht und zwang Elger allein durch seinen Blick, sich wieder zu setzen.
‚Aber ich werde mit Kel reden. Er soll nur wissen, dass ich es weiß.‘ meinte Elger und setzte sich.
Kel schrie wieder. Merle zuckte zusammen.
‚Sag mal, musstest du ihn eigentlich so schrecklich verfluchen?‘ meinte Merle ängstlich. ‚Die Kinder werden bis zum Vollmond in der Nacht kein Auge zu machen. Und ich auch nicht.‘ Wena drückte Merle den Wein in die Hand und sie trank.
‚Ich kann niemanden verfluchen. Es liegt nicht in meiner Macht jemanden Schaden zu zufügen. Aber Kel glaubt daran, dass ich ihn verflucht habe. Und das ist der Trick daran.‘ meinte Ziska und lehnte sich zu Frieden zurück. Kel schrie wieder. ‚Außerdem hatte ich ihn gestern Abend bereits vor meinem Zorn gewarnt! Das hat er nun davon.‘ Ziska verschränkte ihre Armen vor der Brust und grinste breit.
‚Ich hab mich noch gar nicht bei euch allen bedankt!‘ meinte Halef, er hielt Lamina immer noch im Arm. Sie schien schon eingeschlafen zu sein.
‚Ach, für was denn?‘ fragte seine Mutter und grinste ihn an.
‚Für das alles hier!‘
‚Das würdest du für uns doch auch machen!‘ meinte Ziska.
Sie saßen noch eine Weile da und unterhielten sich leise. Halef schlief irgendwann auch ein und so war Ziska die Erste, die aufstand und meinte. ‚Und die weiße Hure geht jetzt schlafen!‘
‚Soll der alte Krüppel dich begleiten?‘
‚Ich bitte darum.‘ meinte Ziska, zog ihn hoch und sie gingen sich gegenseitig stützend aus der Jurte.
Als Halef das nächste Mal wach wurde, sah er wie Lamina gerade aus der Jurte verschwand. Er setzte sich auf und versuchte sich hinzustellen. Der Schwindel beförderte seinen Hintern wieder zurück aufs Bett. Er atmete tief durch, stand nochmal auf und torkelte langsam durch die Jurte. Wenn er sich nicht an den Mittelstangen festgehalten hätte, wäre er beinahe ins Feuer gestolpert. So hangelte er sich von einem festen Punkt zum Nächsten. Endlich hatte er die Jurtentür erreicht und öffnete sie. Die Tür schwang auf, er stürzte aus der Jurte und fiel Lamina vor die Füße.
‚Halef, was machst du da?‘ rief sie erschrocken, griff ihn an der Schulter und versuchte ihn wieder in die Jurte zu bugsieren.
‚Wollte nur sehen wo du bist.‘ stammelte er.
‚Ich musste mal…!‘ meinte sie, doch er riss sich los, rappelte sich auf und torkelte zum Abtritt. Sie blieb reichlich verwirrt auf der Türschwelle sitzen. Als er wieder kam, hielt er am großen Tisch inne und taumelte. Langsam stand sie auf und ging zu ihm hinüber.
‚Komm, ich bring dich wieder ins Bett.‘
‚Warte, es geht gleich wieder!‘ keuchte er und hielt sich am Tisch fest. Er blickte ihr eindringlich ins Gesicht, was sie in der Dunkelheit aber nur wage ausmachen konnte. Ein Schrei hallte über die Ebene. Lamina zuckte erschrocken zusammen. Er packte ihren Arm und zog sie zu sich: ‚Ich danke den Ahnen und Göttern dafür keinem die Schmerzen des Lebens zu ersparen, aber wenigstens haben sie dich auf meine Seite des Flusses geschickt.‘ Dann stand er schwerfällig auf und sie gingen langsam in die Jurte zurück. Beim nächsten Schrei waren sie schon wieder im Bett und Lamina klammerte sich zitternd an seinen Körper. ‚Ich grüble schon die ganze Zeit, was gewesen wäre, wenn er genug Gold gehabt hätte, um mich zu kaufen.‘ flüsterte Lamina.
‚Dann hätte ich den Streit um dich angefangen…!‘ meinte er mit ernster und fester Stimme. Kel schrie wieder. Sie küsste ihn auf die Wange und legte den Kopf auf seine Brust. Irgendwann verstummte Kel wieder und sie schliefen ein.
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